Das OLG Braunschweig eröffnet am 30. September 2019 das Musterfeststellungsverfahren gegen VW. Es dürfte der Startschuss zu einem Prozessmarathon sein, der sich vermutlich über mehrere Jahre hinziehen wird. VW selbst rechnet nicht vor dem Jahr 2023 mit einer rechtskräftigen Entscheidung. Eine Einschätzung, die der Stuttgarter Rechtsanwalt Michael Staudenmayer durchaus teilt. Schon aufgrund der langen Verfahrensdauer sollten geschädigte Autokäufer eine Einzelklage jedenfalls dann in Betracht ziehen, wenn sie rechtsschutzversichert sind. „Die Erfolgsaussichten sind besser denn je und durchschnittlich gibt es nach ca. neun Monaten ein Urteil. Der Verbraucher kommt also deutlich schneller zu seinem Geld“, erklärt Rechtsanwalt Staudenmayer. Bis zum 30. September 2019 besteht noch die Möglichkeit, sich von der Musterklage wieder abzumelden. Danach ist das nicht mehr möglich und der Weg der Einzelklage verbaut.
Verbraucher, die sich der Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen haben, tragen dadurch kein Prozesskostenrisiko, und die mögliche Verjährung von Schadensersatzansprüchen wurde gehemmt, so Rechtsanwalt Staudenmayer. In der Zwischenzeit habe sich aber einiges geändert, und es hat sich die Rechtsprechung im Abgasskandal zu Gunsten der Verbraucher entwickelt. So verjähren Schadensersatzansprüche gegen VW in der Regel erst Ende 2019 und können daher noch bis 31.12.2019 durch Klage oder einen Antrag zu einer staatlich anerkannten Gütestelle geltend gemacht werden (vgl. z.B. https:// www.ra-staudenmayer.de/tätigkeitsschwerpunkte/streitschlichtung-durch-die-staatlich-anerkannte-gütestelle).
Nach der Abmeldung von der Musterklage bleibt die Verjährung der Ansprüche noch für sechs Monate gehemmt, sodass der „neue Rechtsanwalt“ noch etwas Zeit hat.
Während mit der Musterfeststellungsklage juristisches Neuland mit ungewissem Ausgang betreten wird, haben viele Gerichten quer durch die Republik inzwischen entschieden, dass VW die Kunden durch die Abgasmanipulationen vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, und zum Schadensersatz verpflichtet ist. Diese Rechtsprechung wurde von den Oberlandesgerichten Köln, Koblenz und Karlsruhe bestätigt. Weitere Oberlandesgerichte, z.B. das KG Berlin, haben in Hinweisbeschlüssen mitgeteilt, dass sie VW in der Schadensersatzpflicht sehen.
Dass bedeutet jedoch nicht, dass das OLG Braunschweig diese Haltung übernimmt. Bisher hat sich der Gerichtsstandort Braunschweig im Dieselskandal eher als eine Bastion für VW erwiesen. Zudem hat das OLG Braunschweig bereits die Feststellungsziele der Musterfeststellungsklage angezweifelt: Das Musterverfahren habe den Zweck, Tatsachen festzustellen und keine Rechtsansprüche.
Sollte aber doch entschieden werden, dass die geschädigten Autokäufer einen Schadensersatzanspruch gegen VW haben, müssen sie ihren persönlichen Anspruch immer noch individuell einklagen, so dass nochmals weitere Zeit vergeht. „Mit jedem Tag, der vergeht, gewinnt VW, wenn sich die Geschädigten die Nutzung des Fahrzeugs anrechnen lassen müssen. Diesen Gegenanspruch von VW auf eine Nutzungsentschädigung bemessen derzeit viele Gerichte nach den gefahrenen Kilometern. Je länger das Verfahren also dauert, umso mehr Kilometer hat das Fahrzeug schließlich auf dem Tacho. Selbst wenn der Verbraucher gewinnt, bleibt dann am Ende von seinem Schadensersatzanspruch nicht mehr viel über“, so Rechtsanwalt Staudenmayer, der allerdings (wie einige Gerichte) darauf setzt, dass am Ende der BGH den Abzug einer Nutzungsentschädigung nach gefahrenen Kilometern nicht mitmachen wird. Aber auch das bleibt abzuwarten. Jedenfalls sind dem Unterzeichner keine Vergleiche ohne die Anrechnung der Nutzungsentschädigung nach gefahrenen Kilometern bekannt, genausowenig wie Vergleiche, die ohne ein Gerichtsverfahren erreicht worden wären.
Zudem lassen sich Fragen wie Nutzungsentschädigung oder Zinsanspruch ab Kaufpreiszahlung in einem Einzelverfahren wesentlich zielgerichteter klären. „Auch kann der Einzelkläger alleine entscheiden, ob er beispielsweise ein Vergleichsangebot annimmt“, sagt Rechtsanwalt Staudenmayer.
Es gibt also gute Gründe, sich für die Einzelklage zu entscheiden. „Verbraucher mit einer Rechtsschutzversicherung sollten sich deshalb nicht auf ein langwieriges Musterverfahren mit ungewissem Ausgang einlassen, sondern selbst klagen“, so Rechtsanwalt Staudenmayer.
Mehr Informationen: https://www.ra-staudenmayer.de/t%C3%A4tigkeitsschwerpunkte/abgasskandal